Vor zwei Tagen hat mir eine liebe Freundin eine japanische Weisheit geschickt. Sonst bin ich ja nicht so für sentimentale Sprüche zu haben, aber ihr Whatsapp hat mich bewegt (siehe Bild). Seit vielen Jahren verfolgt mich das Bild des Zerbruchs. Bruchstellen und Heil(ung) regen mich zum denken und diskutieren an. Das Leben hat mich (anders als die evangelikale Kirche meiner Jugend) gelernt, dass Heil und Heilung, wenig mit Perfektion und Unversehrtheit zu tun hat. Scherben und existenzielle Zweifel sind Bestandteile des (Glaubens-)Lebens.
Vielleicht kehre ich deshalb alle paar Jahre zu Henning Luthers Praktischer Theologie zurück? (Wer will da noch behaupten wissenschaftliche Praktische Theologie hat nichts mit dem Alltag zu tun 😉 ?)
Vor meinem geistigen Auge werden beim Wort „Scheitern“ viele Situationen lebendig – eigene und fremde.
Im Rückblick auf das letzte Jahr oder gar die letzten Lebensjahre bekomme ich aber das Gefühl, dass eine Fixierung auf das Versagen im eigenen Leben den Blickwinkel enger macht, Lebensenergie nimmt und die Luft zum atmen dünner wird. So frage ich mich was kommt eigentlich danach? Scheitern und dann? Wie geht das Leben weiter? Der Theologieprofessor Henning Luther hat sich dazu, kurz vor seinem frühen Tod nach einem Leben mit vielen Brüchen, intensive Gedanken gemacht. Sein Buch Religion und Alltag, welches postum erschienen ist, spricht davon, dass wir immer Fragmente sind. Er bezeichnet und als Ruinen der Vergangenheit und Fragmente der Zukunft. Unser Leben besteht immer aus angefangen Wegen, die nicht fertig bewandert wurden und Türen, die sich nicht mehr öffnen lassen. Leben ist Zerbruch, manchmal mehr und manchmal weniger, sichtbar und spürbar.
Doch Henning Luther bleibt nicht bei diesem Gedanken stehen, denn wir sind gleichzeitig auch immer Fragmente aus Zukunft. Gleichzeitig! Wir sind Ruinen und Baustellen in einem. Ein unvollendetes Werk – work in progress.
Auch da sind wir unvollendet, im Werden und Entstehen, aber nie ganz. Deshalb ist der Begriff Fragment so hilfreich. Das Fragment benennt unsere Unvollkommenheit, weist aber gleichzeitig über sie hinaus. Im Fragment ist immer auch die Vorstellung des Ganzen angelegt. Abwesend und doch da. Dieses Zerteilte in uns birgt ein Potenzial. Es ist die heilige Unruhe, die nach Ganzheit, nach Schönem, nach Gott sucht. Vom Fragment geht eine Bewegung aus, es ist nicht Resignation und Stillstand, sondern das Gegenteil, suchen und fragen. Gerade die Spannung zwischen mir als Fragment und der Ganzheit löst den Stillstand auf. Die Anerkennung meines Fragment-Seins, lässt mich aufatmen und fröhlich die Zuwendung Gottes annehmen.