Bedingungen eines gelingenden theologischen Diskurses mit jungen Freiwilligen
Freiwilligenarbeit im Konfirmandenunterricht
Einleitung:
Ernüchternd stellte Christian Möller 2004 in seiner «Einführung in die Praktische Theologie» fest, dass so, wie Kirche heute erlebt werde, kaum Hoffnung bestehe, dass sich junge Menschen in ihr integrieren können.[1] Weiter plädiert er dafür, dass «Übungsfelder religiöser Erfahrung im Raum der Kirche» mit jungen Menschen erfunden werden müssen.[2] Ob neue religiöse Erfahrungsräume erfunden werden müssen ist fraglich. Dass diese Erinnerungs- und Erfahrungsräume der religiösen Selbst- und Fremdbegegnung, als Teil lebendiger Tradition, für Jugendliche jedoch wiedereröffnet und zugänglich gemacht werden müssen, steht außer Frage.
Während meiner 17jährigen Tätigkeit in der Jugend- und Konfirmandenarbeit habe ich positivere Erfahrungen gemacht, als diejenigen, welche von Möller beschrieben werden. Ich zweifle nicht daran, dass Kirche Jugendliche bzw. junge Freiwillige beheimaten kann. Diese Aussage basiert weniger auf theoretischen Erörterungen als auf praktischen Erfahrungen. Zumeist habe ich in der Praxis nicht damit gekämpft zu wenige junge Freiwillige zu haben, sondern zu viele, welche im Konfirmandenunterricht mithelfen wollten. So gründen meine Erörterungen nicht auf Frustration, sondern in Erlebnissen mit 100ten von Jugendlichen, welche begeistert und engagiert in Kirche im weiteren Sinne partizipierten.
In den Vorbereitungssitzungen und Konf-Abenden war es meist spürbar, wo es gelang Erfahrungs-Räume zu eröffnen, wo der theologische Diskurs geglückt ist und wo es danebenging. In diesem Workshop wird nun den Bedingungen, welche zu einem gelingenden theologischen Diskurs mit jungen Freiwilligen führen, nachgegangen
Methodik:
Als Theorie- und Diskussionsbasis für diesen Bericht dient eine kleine qualitative Studie, welche ich 2015 durchgeführt habe.[3] Eine ethnographische Annäherung an die Thematik wurde anhand halbstandardisierter WhatsApp-Interviews durchgeführt und mit Grounded Theory ausgewertet. Insgesamt wurden sechs Jugendliche, im Alter zwischen 16 und 18, welche freiwillig im Konfirmandenunterricht engagiert sind, befragt. Alle interviewten Personen arbeiten in einem ähnlichen Team- und Unterrichtssetting, in vier evangelisch-reformierten Kirchgemeinden der deutschsprachigen Schweiz, mit. Allen Unterrichts-Settings ist gemeinsam, dass sie die Jugendlichen als theologisches Gegenüber ernst nehmen und in die Unterrichtsplanung und -gestaltung miteinbeziehen.
Dialogische Grundhaltung
Bei der Analyse der sechs Interviews ist eine häufige Verwendung von Verben augenfällig. Die Jugendlichen begreifen ihre ehrenamtliche Tätigkeit als engagiertes, fragendes, aktives und partizipatives Beziehungsgeschehen, wie in der Word-Cloud ersichtlich ist. Auffällig dabei ist der Wort-Komplex aus: eigene Meinung, fragen, fühlen, glauben, Gott, Kirche, können, Menschen, Religion, Team, Thema und verändern.
Die 55 in der Analyse generierten Codes konnten durch und anhand der verschiedenen Codierprozesse auf eine Kategorie „dialogische Grundhaltung“ reduziert werden. Die Hauptbedingung für einen gelingenden theologischen Diskurs mit jungen Freiwilligen ist demnach diese Haltung. Dabei ist bei dieser Gesinnung nicht primär an eine Gesprächstechnik zu denken, sondern vielmehr eine „Einstellung zum Umgang mit sich selbst und den eigenen persönlichen Wahrheiten, zum Umgang mit anderen Menschen und deren persönlichen Wahrheiten. So ist die dialogische Grundhaltung auch nicht an einem Gesprächsverlauf festzumachen, sondern vollzieht sich permanent innerhalb der Teamstruktur. Dies vor allem in den Beziehungen, in narrativ-biographischen Vollzügen, in religiösen Praktiken und semiotischen Handlungen und Deutungen.
Begegnungsformen – Begegnungserfahrungen
Begegnungsformen bieten dadurch Begegnungserfahrungen. Im Teamsetting werden den Jugendlichen sowohl emotionale und körperliche, kognitive, spirituelle und ekklesiale Erfahrung zugänglich gemacht. Diese können als Lern-, Beziehungs- und Selbstentdeckungsort umschrieben werden.
Grundsätzlich zeigt sich so im Engagement der jungen Freiwilligen ein ständiger Ich-Du-Begegnungsprozess, welcher eine Triade an Begegnungsformen, beinhaltet. Nämlich erstens die Selbstbegegnung im Sinne der Person, Persönlichkeit und als Identitätskonstruktionsprozess. Zweitens Begegnungen oder Erfahrungen mit transzendeten Aspekten des Lebens, welche durch ein personales Gottesbild beschreiben werden. Und drittens die Begegnung oder das Sich-einlassen auf das Du, welches sowohl andere Individuen als auch eine ekklesiale Gemeinschaft beinhaltet.
Selbstbegegnung
Die jungen Freiwilligen sind plötzlich in einer ungewohnten Rolle und für die inhaltliche Gestaltung und Leitung des Konfirmandenunterrichts mitverantwortlich. Diese Erfahrung fördert in den Jugendlichen eine Auseinandersetzung mit sich selbst. Das stabile Umfeld des Teams und des Unterrichtes bietet einen Ort der Geborgenheit und Sicherheit, in dem Lernerfahrungen gemacht werden können und persönliche Entwicklung möglich ist. Sicherheit fungiert so auch als Katalysator für das eigene Interesse, die
Beziehungen untereinander, Motivation, Freude, den Einsatz der persönlichen Stärken, die religiöse Sprachfähigkeit und die Bereitschaft für einen theologischen Diskurs:
Nein, wichtig ist es mit verschiedenen Ansichten / Personen in Kontakt zu treten, um sich sein eigenes Bild vom Glauben / Gott zu bauen […] Ich denke, dass sich die Konfirmanden mithilfe meiner Aussagen und den Aussagen der Anderen evt. ihr eigenes Bild vom Glauben machen können.
Individuelle Spiritualität und personales Gottesbild
Vor dem Konfirmandenunterricht hatten fünf der sechs Befragten kaum Kontakt zur Kirche und eine Person besucht mit der Mutter 4-6 Mal die Ortsgemeinde. Erst durch den kirchlichen Unterricht in der Adoleszenz konnten religiöse und spirituelle Inhalte und Fragen überhaupt erstmals thematisiert werden. Alle sechs Jugendlichen sprechen von einem erhöhten spirituellen Interesse seit sie den kirchlichen Unterricht mitgestalten. Fünf der befragten Personen geben an, dass sie sich nun fast täglich mit religiösen Themen oder Praktiken befassen. So antwortet jemand auf die Frage, ob er sich häufig mit Fragen nach Gott und Religion auseinandersetze, folgendermassen: Ja, praktisch jeden Tag […] ich bin viel interessierter geworden, lerne mehr über den Glauben. Und eine andere Person bemerkt: Ich spreche immer lieber mit anderen Personen über Gott und Religionen, früher habe ich mich bei diesem Thema immer zurückgezogen.
Wie in der vorherigen Aussage ersichtlich, ist das spirituelle Erleben stark von einem personalen Gottesbild geprägt. Gott wird als Gegenüber begriffen, welches erfahrbar und im Alltag präsent sein sollte. Gleichzeitig bewegt die interviewten Personen die Frage, wie denn Präsenz Gottes im Alltag erkannt und erlebt werden kann. Bei der Analyse stellt sich zudem heraus, dass sich durch die intensive Lernerfahrung im Konf-Team und im Konfirmandenunterricht für die jungen Leitungspersonen ein Zugang zu religiösen Praktiken wie Gebet, Gottesdienst und Lektüre von Bibeltexten eröffnet.
Beziehungsnetzwerk und ekklesiale Gemeinschaft
Das Miteinander im Team, die einzelnen Beziehungen, Freundschaften und das gegenseitige Vertrauen sind entscheidende Voraussetzungen, damit sich die jungen Freiwilligen auf einen theologischen Diskurs einlassen können. So zeigt sich, dass das Team für die Jugendlichen ein Ort des Vertrauens ist, in dem ein Dialog über Gottes-, Sinn- und Glaubensfragen ermöglicht wird. Offenheit fungiert als Grundlage des gegenseitigen Verständnisses. Für alle Jugendlichen ist so auch die gegenseitige Bereitschaft zum Zuhören und sich mitteilen können wichtig: Es stellt sich heraus, dass durch das Klima im Team und die Beziehungen untereinander das Interesse an Spiritualität und an anderen Personen gefördert wird. Gerade im Themenkreis christlicher Nachfolge zeigt sich bei den Jugendlichen nicht nur spirituelle Individualität, sondern es werden auch religiöse kollektive Praktiken erkennbar. Diese war nicht schon gegeben, sondern entwickelte sich im Laufe der Mitarbeit weiter oder entstand erstmals.
Im dialogischen Teamsetting erleben die Jugendlichen, dass sie wertgeschätzt werden und ihre Verknüpfung von Glaube, Alltag und den Themen des Konfirmandenunterrichtes wichtig sind. So ist es für die jungen Leitungspersonen entscheidend, dass sie auch in theologischen Belangen und der inhaltichen Gestaltung des Unterrichts ernst genommen werden. Im Sinne der Jugendtheologie zeigt sich hier eine explizite Theologie der Jugendlichen. Gleichzeitig weisen die interviewten Personen ein ausgeprägtes Bewusstsein auf, dass sie zu einer Theologie für Jugendlichen, in diesem Fall für Konfirmanden und Konfirmandinnen viel beizutragen haben.
Auswirkungen / Interpretation
Die Beziehungsformen der dialogischen Grundhaltung in einem partizipativen Teamsetting wurde soeben beschrieben. Weitere für die Jugendtheologisch interessante Implikationen können gemacht werden:
Lernprozess: In einem dialogisches Setting zeigt sich teilweise eine höchst differenzierte Theologie der Jugendlichen. In dieser nehmen persönlicher Glaube und Glaubensprozesse, Meinungsfreiheit und gegenseitiger Respekt eine wichtige Rolle ein. Der Lernprozess spielt sich neben den thematischen Teilen des Konfirmandenunterrichts stark im emotionalen Beziehungsgeschehen der Einzelnen ab.
Funktion von Pfarrpersonen und Jugendarbeitenden: Dabei kommt der Funktion der Pfarrpersonen und Jugendarbeitenden eine wesentliche Rolle zu. Denn die Theologie der Jugendlichen steht in einem reflektierenden Bezugssystem untereinander und mit Expertenwissen. Die Pfarrperson als prima inter pares hat eine ermöglichende Funktion. Zum einen werden eigene religiöse Erfahrungen ernst genommen und eine gemeinschaftliche religiöse Praxis kann Gestalt annehmen. Pfarrpersonen verhelfen dazu einen Interpretationsrahmen für die religiösen Erfahrungen zu schaffen und diese einzuordnen. Die Pfarrperson fungiert als Brücke zwischen biblischer Überlieferung, christlicher Tradition und dem Bezugsrahmen der Jugendleitenden.
Subjekte der Verkündigung: Ziel ist die Schaffung eines sicheren Umfeldes, in dem sich die Jugendlichen von Objekten der kirchlichen Lehre hin zu Subjekten der Kommunikation des Evangeliums entwickeln können. Bei der Beschreibung der persönlichen Spiritualität zeigt sich eine Verbindung zwischen erfahren, fragen, glauben und wissen. Im Erfahrungshorizont der jungen Freiwilligen findet dadurch eine enge Verknüpfung von Emotionen und Verstand statt. Persönliche Fragen und eigenes Interesse dienen als Katalysator. Religiöses und biblisches Wissen verhilft den Jugendlichen zu Glaubenssicherheit, spirituelle Erfahrung zur Glaubensgewissheit. Dies zeigt sich in Übereinstimmung mit Diskursen zur Postmoderne und Urbanität. Wissen und individuelle Wahrheit wird aus der Verknüpfung von emotionalen, erfahrungsorienierten und kognitiven Prozessen gewonnen. Auch im weltweiten Diskurs zeigt sich, dass religiöse Emotionen und Erfahrungen integraler Bestandteil in der Beschreibung der persönlichen Spiritualität ist. Erst dadurch zeigt sich die Bildung eines Gefühls von Glaubensgewissheit (vlg. Z.B. Woodhead, Sociology of Religious Emotion).
Die jungen Freiwilligen können dann wiederum die Übersetzungsleistung ihrer theologischen Reflexionen und religiösen Erfahrungen in den Konfirmandenunterricht einbringen. Nachfolge ereignet sich so prozessual in der Verkündigungsfunktion der jungen Freiwilligen.
Die Theologie der Jugendlichen weist einen überdurchschnittlich hohen Alltagsbezug auf. Christliche Spiritualität muss sich für die jungen Menschen in ihrem Alltag als lebensfördernd und hilfreich erweisen. Tut sie dies nicht, ist sie nicht relevant für den persönlichen Lebensvollzug. Durch die Begegnungserfahrungen im Team bleibt hier christliche Spiritualität jedoch nicht einfach individuelle und persönlich. Die individuelle Plausibilisierungsstruktur wir nämlich immer wieder herausgefordert und kontextuell in den grösseren Diskurs der christlichen Tradition, Geschichte und Lebenspraxis eingeordnet.
Fazit
Zum Schluss möchte ich zwei Punkte nochmals herausheben: Ich habe nur eingangs eher kurz das Teamsetting erwähnt. Damit die hier beschriebenen Prozesse spielen, ist dies jedoch Ausgangslage, d.h. eine Teamstruktur und Form von Konfrimandenunterricht ist nötig, wo eine dialogische Grundhaltung überhaupt zum spielen kommt. In den untersuchten Fällen war das eine Form von Konfirmandenunterricht, bei dem Jugendliche und junge Erwachsene als Mitleitende miteinbezogen werden und ein grösseres Team neben den Profis die Konfklasse anleitet. Die jungen Erwachsenen sind eingeladen das Konfjahr mitzugestalten, sie können bei der Planung mitentscheiden und sie werden mit ihrer Meinung und ihrer Spiritualität ernst genommen. Die Analyse bekräftig die These, dass religiöse ekklesiale Erfahrungsräume für die theologische Sprachfähigkeit und die geteilte und persönliche Spiritualität von Bedeutung sind. Diese müssen junge Menschen zugänglich gemacht werden. Dabei kann aber keine blosse Angebotsorientierung das Ziel sein. Schlussendlich erweist sich die dialogische Grundhaltung als Voraussetzung für den gelingenden theologischen Diskurs mit jungen Freiwilligen und wird zu dessen Leitparadigma. Jedoch weniger als Theologie für Jugendliche im Sinne einer blossen Angebotsorientierung, sondern als Theologie mit und von Jugendlichen, im Sinne der Partizipation und des gleichberechtigten Dialoges.
[1] Vgl. Möller, Ch., Einführung in die Praktische Theologie, Tübingen 2004, 230.
[2] Ebd., 230.
[3] Vgl. Jahrbuch Jugendtheologie, 2016.
Auszüge und Zusammenfassung vom Beitrag Müller, Sabrina (2016). Bedingungen eines gelingenden theologischen Diskurses mit jungen Freiwilligen. In: Schlag, Thomas; Roebben, Bert. „Jedes Mal in der Kirche kam ich zum Nachdenken“. Jugendliche und Kirche. Stuttgart: Calwer, 160-170.: