totsächlich #15 Die unerträglichen Zeiten – oder: Wie feiert man Weihnachten?

Obwohl ich mich durch die Tage hindurchschleppte ging das Leben unaufhaltsam weiter, zumindest auf dem Kalender: Oktober, November, Dezember. Weihnachten rückte immer näher und ich immer weiter weg von den Menschen. Es blieben wenige konkrete Erinnerungen aus dieser Zeit in meinem Gedächtnis haften, sondern vielmehr dumpfe neblige Gefühle, Orientierungslosigkeit und Fremdheit. Die Weihnachtsbeleuchtung auf den Strassen, an Häusern und Einkaufszentren fielen mir gar nicht auf. Aber wenn ich mich einem Laden näherte hörte ich die altbekannten Weihnachtslieder. Jingle Bells und Last Christmas dröhnten mir entgegen und die Schaufenster waren voll von glitzernden, unnötigen Dingen. Menschenströme hetzten durch die Strassen und alle bereiteten sich auf die Festtage vor. Wie ein fremder, verzerrter Film liefen die Weihnachtsvorbereitungen vor meinen Augen ab. Feiern? Was konnte ich feiern? Den dunkeln Winter? Die grauen Tage? Ein Fest ohne meine Freundin? Doch mehr als die Frage nach dem Was, trieb mich diejenige nach dem Wie um: Wie konnte ich feiern, jetzt wo nichts mehr so war, wie es sein sollte?

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Mir graute vor Weihnachten, vor den Familienfesten, vor scheinbar glücklichen Gesichtern. Aber mehr noch waren mir die theologisch aufgeladenen Geschichten zuwider: Maria und Joseph, Esel, Bethlehem und Könige, ein Gott der Mensch wurde. Ich aber wollte keinen Gott der Mensch wurde, keine Feste, üppige Essen und Lichter, nein ich wollte Angelika zurück. Das war mein einziger Wunsch.

Die Weihnachtstage waren dann tatsächlich sehr anstrengend. Es war kräftezehrend eine einigermassen fröhliche Fassade aufrecht zu erhalten, belanglose Gespräche zu führen und mir nichts anmerken zu lassen. Ich wollte ja niemandem das Fest verderben und trauernde Menschen sind, gesellschaftlich gesehen, nicht unbedingt die angenehmsten Menschen. Für alle war Angelika schon lange tot. Sie war ja nicht Familie, war nur meine Freundin, eine Bekannte, welche die meisten nicht gut kannten. Ich spielte das Spiel mit. Nur einmal verlor ich die Fassung und zwar als meine Grossmutter meine verstorbene Freundin erwähnte und ich ihre Fassungslosigkeit über den Suizid spürte. Wie bereits in den ersten Beiträgen beschrieben erwähnte kaum je jemand laut Angelikas Namen. Ausser meiner Grossmutter, sie vergass auch nach Jahren den Suizid nicht und betrauerte das „vergeudete“ Leben.

Reflexion

Anders als bei der Trauer um einen alten Menschen, der eines natürlichen Todes gestorben ist, kann die komplexe Trauer im Falle eines Suizids überwältigend werden. Sie kann sich wie ein Schleier über das ganze Leben legen und jegliche Freude, das Schöne und Lebendige verschlucken. Der trauernde Mensch ist dann kaum noch im Stande etwas als positiv wahrzunehmen. Alles wird von der Trauer verschluckt.

Dies ist für das Umfeld nicht einfach zu verstehen und auszuhalten. Doch gute Ratschläge wie: „sieh das doch positiv“ oder „das Leben hat auch schöne Seiten“ sind nicht nützlich. Hilfreicher wäre es, der hinterbliebenen Person die Trauer zuzugestehen und sie gleichzeitig nicht im Kummer ersticken zu lassen. Auch im Leben trauernder Personen gibt es noch Dinge die lustvoll sind. Danach zu fragen und diese gemeinsam zu verwirklichen öffnet wieder Perspektiven für das Leben. Gerade an den Festtagen wäre dies nötig, denn diese sind für viele Menschen schwierig. Familienfeste können noch einsamer machen, als allein zu sein. In der Trauer auf Unverständnis zu stossen, und Fassaden aufrechterhalten zu müssen, nur wegen eines Festtages, bringt der trauernden Person nichts. Anders als im Bericht beschrieben würde ich mich heute, mit etwas mehr Wissen und meiner gemachten Erfahrung zurückziehen, nicht mitfeiern oder besser darauf hören, was dran ist und was ich bräuchte, unabhängig von der Jahreszeit.

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