Dinah Stampfli
An einem regnerischen Freitagnachmittag traf ich mich mit meinen Kommiliton*innen und meiner Dozentin im «Coffee & Deeds», einem Café neben der reformierten Kirche Hirzenbach in Zürich. Die gemütliche und freundliche Atmosphäre im «Coffee & Deeds» liess mich, obwohl es Freitagnachmittag war, ganz und gar vergessen, dass dieses Treffen eigentlich eine universitäre Veranstaltung ist. Vielmehr war es eine spannende Erfahrung, über dieses Café, seine Entstehungsgeschichte und seine Auswirkungen auf das Quartier zu diskutieren.

Ihnen stellt sich vielleicht die Frage: «Was soll an einem Café derart spannend sein?». Nun, das möchte ich sehr gerne erklären. Es ist so, dass dieses Café nicht zufällig neben der reformierten Kirche Hirzenbach steht. Das Café ist nämlich ein Projekt der Kirche und ein Versuch, die Personen in diesem Quartier näher zu Gott zu bringen. Alles in allem ist es ein normales Café, aber es gibt doch einige Besonderheiten: Fast alle Mitarbeiter machen ihren Job ehrenamtlich und ausserdem kann man auf der Karte ein Gratis-Gebet bestellen. Das Café ist jedoch auf keinen Fall nur für gläubige Christen und Kirchgängerinnen gedacht! Die Idee dahinter ist, dass da wo Gott ist, Kirche ist, und da Gott überall ist, kann auch dieses Café Kirche sein.
Marcel Grob, ein Diakon der reformierten Kirche Hirzenbach, der innovative Projekte aufbaut («Innokon»), erzählt uns, wie die Kirche in diesem Zürcher Quartier arbeitet. Er und seine Mitarbeitenden versuchen stets, die Meinungen vieler Personen miteinzubeziehen und so die Kirche durch innovative Ideen und Methoden weiterzuentwickeln. Durch diesen innovativen Spirit ist auch das «Coffee & Deeds» entstanden und ich empfinde das Café als einen Erfolg, der dieser Innovation und auch der gewissen Risikobereitschaft entspringt. Marcel Grob hingegen sagt, dass das Café ein Erfolg ist durch Gottes Hilfe. Natürlich möchte ich diesem Glauben nicht widersprechen, da ich selbst glaube, dass wir ohne Gott wohl keinen Erfolg haben können. Trotzdem liess mich ein Gedanke an diesem Nachmittag nicht los: «In meinem kleinen Dorf würde so ein Café niemals zustande kommen, geschweige denn Erfolg haben».
Genau dieser Gedanke bringt mich zu der grossen Frage bzw. dem grossen Forschungsinteresse, das ich an der urbanen Theologie fand: Inwiefern unterscheiden sich Kirchen bzw. die Theologie in Dörfern im Gegensatz zu Städten? Was sind die Gründe für diese Unterschiede? Wie kann es sein, dass wenige Kilometer einen Unterschied im Gottesbild entstehen lassen, selbst wenn es ein und dieselbe Religion ist? Der unendliche Fragenhorizont, der sich in meinem Kopf zu diesem Thema auftut, ist schwierig zu ordnen. Ein Thema auf welches ich jedoch stets wieder stosse und welches ich gerne untersuchen möchte ist die soziale «Zurechtbiegung» Gottes zu einem Gott, der gerade zu dieser sozialen Gruppe passt: sei es nun der christliche Gott, der Zürcher Gott, der Appenzeller Gott, der westliche Gott, der Schöpfer, der Vater, der zornige Gott, der gnädige Gott, der menschgewordene Gott, der grosse Schutzengel oder gar das ominöse Schicksal. Diese Liste ist wohl bis ins unendliche weiterzuführen und gleichzeitig ist dieses Thema wohl niemals erschöpfend zu erforschen. Es geht mir dabei nicht darum, jeden dieser «Götter» zu erforschen, sondern vielmehr zu fragen, weshalb sie sich so unterscheiden und den Einfluss der Kultur, der Gesellschaft und des Einzelnen auf die Wahrnehmung von Gott zu untersuchen. Ein kleiner Teil dieses Themas finde ich jedoch in der urbanen Theologie wieder: der Kontrast zwischen dem städtischen und dem dörflichen Gott oder, anders ausgedrückt, der Kontrast zwischen der urbanen und der ruralen Theologie.