Laura Klingenberg
Am letzten Seminarmorgen erzählte eine Seminarbesucherin aus ihrem Alltag als reformierte Pfarrerin in urbaner Umgebung. Dabei thematisierten wir, dass Kirchen unterschiedliche Formen annehmen können: Kirche als Bewegung, als Institution oder auch als Organisation.
Diese unterschiedlichen Formen von Kirche sind kein städtisches Phänomen, dies gilt allgemein. In diesem Beitrag möchte ich jedoch spezifischer betrachten, welche Form von Kirche im urbanen Kontext fruchtbar sein könnte und warum und wo auch die Grenzen und Gefahren der verschiedenen Formen liegen. Dabei lege ich den Fokus auf die beiden Formen „Institution“ und „Organisation“. Dies, da ich die reformierte Kirche betrachten möchte, wie sie bereits besteht und keine neuen Bewegungen, die aus der reformierten Kirche erwachsen.[1]
Das Leben in der Stadt:
Gegenüber ländlichem Gebiet ist der urbane Raum geprägt von einem Mehr an Diversität und Schnelllebigkeit. Eine Stadt beinhaltet eine Vielfalt an Menschen, unterschiedlicher Lebensgeschichten und Lebensinhalten. Viele von ihnen wohnen nicht an diesem Ort, sondern passieren die Stadt nur zur Besichtigung oder zum Arbeiten oder auch aufgrund von Migration. Die Schnelllebigkeit der Stadt sieht man an ihrem stetigen Wandel. Die Modeschaufenster zeugen davon – ist dieses Jahr das eine in, ist das nächste Jahr was anderes dran. Auch die Supermärkte „takten“ uns durch das Jahr: So kündigen beispielsweise die Fasnachtschüechli nach Weihnachten bereits die Fasnacht an, und die ersten Osterhasen kurz danach schon Ostern. Weiter verändert sich in einer Stadt ebenfalls, wer sich darin aufhält. So erinnere ich mich beispielsweise an Bilder vom Herbst 2015, an dem die Bahnhöfe in Budapest von Flüchtlingen völlig überfüllt waren. Als ich die Stadt ein halbes Jahr später besichtigte, war davon nichts mehr zu erkennen. Um als Stadt TouristInnen anzuziehen, muss sie ausserdem etwas zu bieten haben und mit dem weltweiten Wettbewerb mithalten: Sie braucht Ausstellungen und Veranstaltungen, welche die Interessen der Menschen bedient. So ist es wohl kein Zufall, dass in den letzten Jahren in Zürich diverse vegane Restaurants aus dem Boden geschossen sind und die „Karma“-Linie von Coop immer grösser wird: Es ist „trendy“.
Kirche in der Stadt – Institution oder Organisation?
Man könnte nun sagen, Kirche als Institution hat die Chance, Menschen in dieser Schnelllebigkeit einen Gegenpol zu bieten. Eine Institution verkörpert eine gewisse Beständigkeit und Stabilität. Etwas, das sich nicht ständig wandelt. Etwas, das, in der Schnelllebigkeit der Stadt, gleich bleibt. Die Bewahrung der Tradition wird zu einem Erkennungsmerkmal, welches für gläubige Menschen – auch wenn sie aus der Ferne kommen – eine Heimat bietet.
Dem könnte man entgegenhalten, dass damit jedoch nur diejenigen Menschen abgeholt werden, die eben genau DIES suchen. Dass die reformierte Kirche in den letzten Jahren kontinuierlich an Mitglieder verloren hat und dadurch auch an Finanzen, ist kein Geheimnis. Es gilt sich also zu fragen: Was brauchen all die anderen Menschen, die mit der altbewahrten kirchlichen Tradition, nicht mehr viel anfangen können? Was ist mit den Menschen, die zwar noch Kirchenmitglieder sind, den sonntäglichen Gottesdienst jedoch nicht mehr besuchen und die Kirche nur noch als „Verwalterin der Kausalien“ gebrauchen? Wie kann man Kirche für die StädterInnen attraktiver machen? Solche Fragen werden in den Fokus gerückt, wenn man Kirche als Organisation betrachtet. Kirche als Organisation charakterisiert sich durch ihre Offenheit, sich weiter zu entwickeln und durch ihre Flexibilität, auch neue Wege auszuprobieren. Sie formuliert konkrete Ziele und versucht die vorhandenen materiellen und personellen Ressourcen möglichst effektiv einzusetzen. Diese Eigenschaften ermöglichen der Kirche als Organisation, sich auf wandelnde Situationen stetig neu einzulassen, Neues auszuprobieren und dank der klar formulierten Ziele und einem Budgetplan den eigenen Standpunkt stets zu überwachen.
Aber auch zu dieser Form können Einwände gefunden werden: So besteht die Gefahr, dass die Konzentration darauf, nur dort zu investieren, wo es sich finanziell lohnt oder die meisten BesucherInnen kommen, von der eigentlichen Botschaft und Aufgabe der Kirche ablenkt. Kirche soll nicht in erster Linie „trendy“ sein. Bei der Kirche geht es um mehr: Sie soll Raum schaffen für Gottesbegegnung und das Evangelium verkünden. Sie soll für Gerechtigkeit einstehen und dort tätig werden, wo Menschen Hilfe brauchen. Und dies, auch wenn es sich nicht immer und überall finanziell lohnt.
Wie Hauschildt erachte
auch ich eine Mischform von Kirche als Organisation und Institution als am
Ertragreichsten[2]
– gerade auch in einer Stadt. So kann Kirche in der Schnelllebigkeit und dem
steten Wandel der Stadt Gegenpol sein und durch die Aufrechterhaltung und Praktik
traditioneller kirchlicher Aufgaben und Rituale ein Gefühl von Stabilität und
Heimat vermitteln und bewahren. Gleichzeitig kann sie durch den
Organisationscharakter flexibel auf die sich verändernde Lebensrealität der
Menschen eingehen und als Kirche zeitgerecht darauf reagieren und die eigenen
Ressourcen bewusst einsetzen.
[1] Dabei habe ich mich auf den Text von Eberhard Hauschildt gestützt, welcher diese zwei Formen von Kirchen in Bezug auf die Kirchenentwicklung in den Fokus rückt. (Vgl. Hauschildt, Eberhard. Kirche als Institution und Organisation, in: Kunz, Ralph & Schlag, Thomas (Hg.), Handbuch für Kirchen- und Gemeindeentwicklung, S. 169-178.
[2] Vgl. Hauschildt, S.170.